Theater
         
 

Für die Katz

Ein erfundener Tag im Leben des Schriftstellers Robert Walser

literarisch - musikalisches Kabinettstück

Einzig eine 1993 enthüllte Gedenktafel in der Kaiser-Friedrich-Straße 70 erinnert an den Aufenthalt Robert Walsers von 1905-1913 als freier Schriftsteller in Berlin: „In dem Vorgängerbau dieses Hauses lebten im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts die Brüder Karl Walser, bedeutender Buchillustrator und Robert Walser, wegweisender Schriftsteller der Moderne“.

Dabei verdankt die Stadt Berlin Robert Walser einige ihrer lebendigsten Schilderungen. So wird der Schriftsteller auf einem nächtlichen Gang Zeuge eines Hausbrandes: "Ein dichter, scheinbar unaufhörlicher Sprühregen von kleinen, leichten Glutstücken fliegt aus der dunklen Luft in die menschenerfüllte Straße hinunter und besät den Erdboden mit glühendem Schnee. In diesem Moment rollt der Stadtbahnzug vorüber; auch er wird von diesem sonderbaren Schnee bedeckt. Menschen stehen da, die unvorsichtigerweise in die rotbetupfte Höhe schauen, ohne zu bedenken, daß ihnen ein glühender, siedend heißer Schneeflocken ins Auge fallen kann…" Man glaubt sich an der Seite des Autors unter den Schaulustigen zu drängen, bis der banale Appetit auf ein hübsches Abendessen über die Lust am Katastrophenschauspiel triumphiert.
Von einer "zumindest scheinbar, völlig absichtslosen und dennoch anziehenden und bannenden Sprachverwilderung. Von einem Sichgehenlassen dazu, das alle Formen von der Grazie bis zur Bitternis aufweist" schrieb Walter Benjamin 1929 über Robert Walser, im selben Jahr also, in dem der Schweizer Dichter sich endgültig aus der "normalen" Welt verabschiedete, um den Rest seines 78 Jahre währenden Lebens - immerhin noch 27 Jahre bis zu seinem merkwürdigen Tod im Schnee Weihnachten 1956 - in psychiatrischen Anstalten zu verbringen. "Seltsamkeitsstil" nannte Robert Walser selbst seine Schreibform.
Ihre musikalische Struktur haben viele wissenschaftliche Interpreten hervorgehoben. Genau darauf setzt die von dem Berliner Autor und Regisseur Boris Pfeiffer zusammengestellte, kluge und witzige Performance "Für die Katz“, mit der jetzt der Schweizer Schauspieler und Musiker Andreas Krämer, der unter anderem am Schauspielhaus Hamburg, in Wuppertal, Basel und Zürich engagiert war im Hackeschen Hoftheater gastiert. Nachlesbar ist der Monolog im wohl gestalteten Programmheft, herausgeben von Peter Brunner, Leiter des freien Züricher "sogar theater", an dem „Für die Katz“ vor anderthalb Jahren Premieren hatte und seitdem erfolgreich durch die Schweiz und Deutschland tourt. Erst kürzlich ist das Stück zum internationalen Theaterfestival in Kiew 2005 eingeladen worden.
Es sind zu einem starken Bogen zusammengefügte Bruchstücke aus dem "Bleistiftgebiet", diesen 1924/25 in fast wie eine Geheimschrift wirkenden winzigsten Lettern verfassten "Mikrogrammen", Sätze aus den bekannten Romanen wie "Geschwister Tanner" und "Jakob von Gunten", Notizen aus den Feuilletons, Briefen und Beobachtungen vom Rand der zufälligen Wahrnehmung. An diesem «erfundenen Tag im Leben des Schriftstellers Robert Walser» (er)findet sich eine Figur aus ihren Texten zwischen Liebessehnsucht und Lästerzunge, Triebverzicht und Todesahnung, Bratkartoffeln und Bürgerlichkeit. Boris Pfeiffers zielgerichteter Gestus und Andreas Krämers extravertierte Introvertiertheit in der Suche nach dem verstummenden Walser sind von berührendem Gewinn für einen Versuch, der eigentlich auf der Hand liegt: verstreute Textfragmente zu einem Bühnentext zusammenzufassen. Walsers erste berufliche Ambition war es, Schauspieler zu werden, theatralische Elemente spielen in allen seinen Texten, insbesondere den Mikrogrammen, eine wichtige Rolle.
Der Schauspieler und Musiker Andreas Krämer macht daraus nachdenklich komische Wortspiele, horcht in die Metaphern hinein und bringt ihre Absurditäten zum Leuchten und Klingen. "Ich schreibe in stiller Mitternacht, und ich schreibe für die Katz, will sagen für den Tagesgebrauch. Die Katz ist eine Art Fabrik oder Industrieetablissement, für das die Schriftsteller täglich, ja vielleicht sogar stündlich treulich und emsig arbeiten oder abliefern."
Seine poröse Verlassenheit teilt er mit einem Klavier, das seine Eingeweide preisgibt und an beiden Seiten seltsame Flügel aus Holz- und Metallstäben trägt, die mit einem Kontrabassbogen zu schrägen Tönen gereizt werden. Bis ins Innerste des Klangkörpers horchen will er, und eigene Töne finden, seine Antwort auf „die Meisterwerke der Kunst oder die Taten, die über das Summen, Brummen, Sausen, brausen des Tages hinausragen.“ Ein Blaseblag lässt die Klaviersaiten windig erbeben, ein Alphorn wird auseinandergeschraubt und mit verschiedenen Mundstücken bedient, ein verbogener Löffel wird zur Augenklappe und mit einer Gabel zum Rhythmusinstrument. Alles wird dem Dichter Ton – korrekter Ton, weil's sein soll, Störgeräusch, weil's sein muss: Unliebliches Aufbegehren, aufmüpfige Deklamation. Ein eigenes Walser-Weltreich.
Krämer bewegt sich auf seinen klobigen Bergschuhen mit merkwürdig paradoxer Leichtigkeit durch die skurrile Installation wie einer, der längst aus der Zeit gefallen ist. In seinem absurd-komischen Rollenspiel erinnert er einen irgendwie an den jungen Emil Steinberger. Aber auf einer ganz anderen, sehr viel ernsthafteren Ebene, wo die Karikatur des Schweizerischen nicht einfach ein Lacherfolg, sondern die Exemplifizierung des Grotesken anhand eines authentisch verifizierbaren Menschentyps ist. Grazie und Bitternis im alltäglich Banalen werden bei seiner Wanderung durch Walsers Kopf zu einem einzigen großen dramatischen Aphorismus.
"Er nicht als er" hieß Elfriede Jelineks 1998 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführte österreichische Theater-Hommage an Robert Walser. Er durchaus als er, aber als sich selbst fremd gewordenes, zerbrechliches Ich zeigt diese hinreißend spielerische Annäherung von Boris Pfeiffer und Andreas Krämer.

Eine Pfeiffkräm Produktion mit dem „sogar theater“, Zürich
www.sogar.ch

Unterstützt von Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung

Sogar Theater

 

Basierend auf dem gleichnamigen Bühnenspiel des "sogar theaters Zürich" liest, inszeniert und begleitet Andreas Krämer ein Flickwerk von Zitaten des Schweizer Literaten Robert Walser. "Für die Katz - ein erfundener Tag im Leben des Schriftstellers Robert Walser" ist eine schwer verdauliche Angelegenheit.
Von Bettina Bhend.

"Für die Katz" ist eine Sammlung von Ich-Aussagen, die Schlaglichter auf eine Figur wirft. Oder viel eher: Es ist ein Flickwerk von Texten, Fragmenten und Zitaten, das versucht, eine Figur, womöglich den Dichter Robert Walser, aus einer geringen Anzahl beleuchteter Façetten zusammenzuzimmern - Lücken inbegriffen. Muss, was dabei entsteht, zwangsläufig "für die Katz" sein? Nun, das letzte Kapitel dieses literarischen Hörspiels heisst sinnigerweise "Man begreift es nicht" und man möchte dem unumwunden zustimmen: Ja, man begreift es tatsächlich nicht. Wie sollte man auch? Die an sich bereits hermetischen Texte Walsers werden scheinbar willkürlich zerstückelt, leichtfertig entkontextualisiert, neu zusammengewürfelt, mit Musik - oder besser - mit nicht genauer definierbaren Geräuschen versetzt und von einer Stimme vorgelesen, die im Sekundentakt von jedem nur denkbaren Gemütszustand in einen anderen, von schleppend müde zu rauschhaft beschleunigt zu wechseln im Stande ist. Nein, leichte Kost ist dieses Werk beim besten Willen nicht.

Impotenz und Makkaroni mit Käse
Eine Inhaltsangabe von "Für die Katz" zu liefern, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Obwohl das Hörspiel in seinem Untertitel verspricht, einen erfundenen "Tag im Leben des Schriftstellers Robert Walser" zu sein, ist es schwer, in den Textstücken eine stimmige Abfolge oder auch bloss einige vage Zusammenhänge zu erkennen. Die thematischen Schwerpunkte der einzelnen Beiträge - wenn man denn von solchen Schwerpunkten überhaupt sprechen kann - oszillieren zwischen Schneeflocken, Impotenz und der Farbe Grün, den Schwierigkeiten des schriftstellerischen Schaffens, der Faszination Radiogerät sowie der kulinarischen Qualität von Makkaroni mit Käse. Die Art der Inszenierung der Texte trägt zur fragmentarischen Wirkung des Hörspiels bei: Gedankengänge werden von so etwas ähnlichem wie Musik unterbrochen, einzelne Textstücke werden mit Tönen unterlegt, einzelne Worte damit betont. Der einzige Aspekt der Textsammlung, der folglich einigermassen befriedigend beschrieben werden kann, ist ihre Verschlossenheit, vordergründige Sinnlosigkeit, ihre Unbeschreibbarkeit.

Die Sinnsuche
Was ist nun mit einem solch unverständlichen Hörspiel, einem Irrsinn dieser Art anzufangen? Entweder hört man sich "Für die Katz" immer und immer wieder an, versucht krampfhaft, darin Sinn und Zusammenhang ausfindig zu machen, versucht, etwas darin zu verstehen. Oder, andere Möglichkeit, man akzeptiert die enigmatische Form des Hörspiels und hört sie sich - ähnlich wie ein Musikstück - ohne Sinnsuche an. Denn "Für die Katz" wartet, lässt man denn vom anstrengenden Verstehensprozess ab, mit einer wunderbaren Klangkombination von Stimme und Ton auf: rollendes R, gewaltsam in die Klaviertastatur gehauene Klangkombinationen, Wortwiederholungen wie "Schneeflocken, Schneeflocken, Schneeflocken", Flüstern, Schreien, Nebelhörner, Lachen, Weinen, Rascheln, die Poesie und Schönheit einzelner Wörter all dies lässt es Wert sein, vor "Für die Katz" nicht zu resignieren. Und vielleicht, sollte einen die Schönheit des Klangs packen, hört man sich das Hörspiel tatsächlich wieder und wieder an - dann kann die Sinnsuche beginnen.

Fazit: Wie gesagt, "man begreift es nicht". Wer sich mit einem Hörspiel gut und leicht unterhalten will, der soll von "Für die Katz" die Finger lassen. Wer aber angestrengt lauschen, den Kopf unverständig schütteln und sich wundern will, der greife zu.

Nachsatz:

Lieber Herr Krämer,

erstmal gratuliere ich Ihnen zu den vielen positiven Pressereaktionen, die Sie auf Ihr Stück/Hörspiel "Für die Katz" erhalten haben. Ich danke Ihnen für Ihre kritischen Anmerkungen zu meiner Rezension und dafür, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mir eine E-Mail zu schreiben.Ich bin allerdings von Ihrer doch eher emotionalen Schreibweise etwas irritiert, da meines Erachtens meine Rezension von "Für die Katz" alles andere als ein Verriss ist. Im Gegenteil, ich halte dieses Hörspiel für etwas ausserordentliches. Doch eigentlich tut dies hier nichts zur Sache, wie überhaupt meine ganze Person (die Sie in Ihrer Mail durch
die Erwähnung meiner literarischen, musikalischen und anderweitigen Vorlieben allerdings unnötiger- und in (wie ich finde) beleidigender Weise trotzdem zum Thema machten...).

Ich werde mich für das, was ich gerschrieben habe nicht entschuldigen,
ich hoffe aber, dass Sie sich die Zeit nehmen können, die folgenden
Erklärungsversuche zu lesen:

Wenn ich im Zusammenhang mit "Für die Katz" von einem Flickwerk, von Oszillieren, fragmentarischer Wirkung, Verschlossenheit und Unbeschreibbarkeit spreche, dann ist dies beim besten Willen keine Wertung, sondern der Versuch einer Beschreibung; die Art und Weise, wie ich "Für die Katz" erlebt habe. Ich schreibe auch bloss von scheinbar
willkürlicher Zerstückelung und scheinbar leichtfertiger Entkontextualisierung. Denn meines Erachtens sind die Brüche, die Lücken in Sprache und Text ein Charakteristikum
von "Für die Katz"; wie sie dies auch von Robert Walsers gesamtem Werk sind, das ich natürlich teilweise gelesen habe. Ich halte es zudem für ein Kompliment, wenn über ein Werk welcher Art auch immer gesagt wird, dass es einen den Kopf unverständig schütteln lässt, dass es Verwundern hervorruft - denn nur, was ausserhalb des Gewöhnlichen liegt, was
aussergewöhnlich ist, ruft eine solche Reaktion hervor. Sie mögen von mir aus der Ansicht sein, dass ich vor allem meinen unverständigen Kopf schüttle...
Ich schreibe von vordergründiger Sinnlosigkeit, denn genau dies ist es wohl, womit sich ein Hörer/Zuschauer beim ersten Kontakt mit "Für die Katz" konfrontiert sehen wird - er ist verwirrt und beginnt nachzudenken. Beim ersten Hinhören hat "Für die Katz" für mich vor allem musikalische Qualität - Stimme, Ton, Musik. Sollte sich, wie ich hoffe, der Hörer/Zuschauer eingehender mit dem Werk beschäftigen, kann die Sinnsuche beginnen. Wie ich geschrieben habe.
Und wenn ich einem allfälligen Leser meiner Rezension davon abrate sich "Für die Katz" anzuhören, wenn er leicht unterhalten werden will, dann halte ich das für gerechtfertigt, denn es ist ein Ding der Unmöglichkeit, sich mit Walser leicht zu unterhalten. Und das ist auch gut so. Wenn sie sich meine Rezension nochmals anschauen würden, vielleicht wird einiges
klarer.

Es grüsst sie, dümmlich grinsend an die Klippen von Cornwall denkend,
Bettina Bhend
Roskilde, Danmark


NZZ 24. 20.03

Die Walsermaschine
Robert Walser macht sich mausig – gar nicht «Für die Katz»

Seine dachstubige Verlassenheit teilt er mit einem Klavier, dem er die Brust geöffnet hat. Bis ins Innerste des Klangkörpers horchen will er, und eigene Töne finden, seine Antwort auf die Meisterwerke der Kunst oder die Taten, die über das Summen, Brummen, Sausen, Brausen des Tages hinausragen. «Summen Brummen Sausen Brausen», wiederholt der Dachstubenhocker und freut sich diebisch, dass er just eine kleine Sprachmelodie ertappt hat. Das Gesicht von Andreas Krämer beleuchtet ein Winzigkeits-Strahlen, das am westlichen Ohr auf und am östlichen sogleich untergeht. Auch Robert Walser geht am Ende dieses Abends. In die Psychiatrische Klinik Waldau? Und alles, alles Dichten wäre umsonst gewesen? «Für die Katz» heisst der in Worten und Tönen leichtfüssig hüpfende Abend im Sogar-Theater, den zwei Feinarbeiter der Bühne, Andreas Krämer (Schauspiel, Musik) und Boris Pfeiffer (Textauswahl, Regie) dem Kleinarbeiter der Sprache – und des guten Tones –, Robert Walser, zugeeignet haben. Walsers Katzenliebe hin, das gleichnamige Prosastück her, das ihm für die Katz, will sagen für den Tagesgebrauch entstehen zu wollen schien: Bei Pfeiffer steht das Tier schwarzstofflich auf dem Klavier. «Katz ist für mich nicht nur das, was für den Betrieb taugt, was für die Zivilisationsmaschinerie irgend-welchen Wert hat, sondern sie ist der Betrieb selber», grübelt ketzerisch der Dichter. Um im nächsten Moment von seinen Gedanken auf Kieler Sprotten geführt zu werden, Würste, Bockwürste, Bierwürste, Wienerwürste...
An diesem «erfundenen Tag im Leben des Schriftstellers Robert Wal-ser»(er)findet sich eine Figur aus ihren Texten zwischen Liebessehn-sucht und Lästerzunge, Triebverzicht und Todesahnung, Bratkartoffeln und Bürgerlichkeit. Krämers extravertierte Introvertiertheit und Pfeiffers zielgerichteter Gestus in der Suche nach dem verstummenden Walser sind von berührendem Gewinn für einen Versuch, der eigentlich auf der Hand liegt: verstreute Textfragmente aus den Berner Jahren (1907 bis 1933) zu einem Bühnentext zusammenzufassen. Walsers erste berufli-che Ambition war es, Schauspieler zu werden, theatralische Elemente spielen in allen seinen Texten, insbesondere den Mikrogrammen, eine wichtige Rolle. Pfeiffer und Krämer errichten aus diesen Qualitäten ein eigenes Walser-Weltreich – nicht nur, aber auch, weil das ihre (Krämers) Stärken sind. Und so ist dem Dichter alles Ton – korrekter Ton, weil's sein soll, Störgeräusch, weil's sein muss: die Tasten des Klaviers, die eine Schreibmaschine sein kann, das Alphorn, der Büchl – und die Blasbalg-Melodica, mit Walsers ureigenstem Klang. Unliebliches Aufbegehren, aufmüpfige Deklamation. Und gar nicht so leise, wie wir uns den dichtenden Tonabnehmer zu denken beliebten. – Hat Walser für die Katz gedichtet? Nein, für die Zukunft. Auf dass man eine Rätselmelodie in immer neue Töne setzt.

Daniele Muscionico

Für die Katz "Für die Katz" im Brauhauskeller
Der diskrete Charme der Melancholie


Es gibt Sätze, die man wie Handschuhe tragen möchte, um sich an ihnen zu wärmen. Sätze wie: "Oft wird die Katz' missverstanden; man rümpft die Nase über sie, indem man hochmütig sagt: ,Es ist für die Katz', als wären nicht alle Menschen von jeher für sie tätig gewesen". Es ist eine traurige Lakonie in ihnen, wie man sie vielleicht erwirbt, wenn man klug ist und kurz vor dem Verschwinden in die Psychiatrie steht. Wie der Schweizer Schriftsteller Robert Walser, dem der Schauspieler und Musiker Andreas Krämer unter der Regie von Boris Pfeiffer einen Abend gewidmet hat. Eigentlich einen Tag, einen "erfundenen Tag im Leben des Schriftstellers Robert Walser". Der steht plötzlich auf der kleinen Bühne des Brauhauskellers, in Tuchhose und Bergschuhen und sagt: "Ich nahm mir vor, mich ein bisschen zu verspäten. Nicht wahr, man erwartet einen dann. Man sorgt sich: wo bleibt er?" Andreas Krämer sagt es mit diesen lang gezogenen Vokalen, die so vorsichtig sind wie die Blicke, die er ins Publikum wirft. Es ist ein erschrockener Mann, der diese Sätze sagt, die so schlicht daherkommen und so genau treffen und es ist nicht genug zu rühmen, sie auf die Bühne zu bringen. Und zwar so, dass sie nicht hinter der Inszenierung verschwinden, sondern zwischen Alphorn- und Klavierspiel um so klarer auftauchen und wie ein kleines Kammerspiel Einblick in dieses Leben für die Katz' geben.

Friederike Gräff

Deutschland Radio, Kultur Heute, 23.10.2003

"Für die Katz.

Ein erfundener Tag im Leben des Schriftstellers Robert Walser" heißt das Arrangement, das derzeit im SOGAR-Theater in Zürich gezeigt wird. Dort wird nicht nur gespielt, sondern auch gekocht.

Was wie ein freches Berliner Chanson tönt, ist eine Kostprobe aus dem Programm, mit dem Andreas Krämer Texten von Robert Walser zu fun-kelnder Theaterpräsenz verhilft. Es sind Passagen aus Walsers Ge-samtwerk, vorzugsweise aus dem jüngst entzifferten "Bleistiftgebiet", die Krämer, bis nach Berlin bekannt geworden mit seinem traurig-absurden Stück "Café Krematorium", unter der Regie von Boris Pfeiffer zu einer Wort-Ton-Collage zusammengestellt hat. "Für die Katz. Ein erfundener Tag im Leben des Schriftstellers Robert Walser" heißt das Arrangement, und wenn Andreas Krämer mit seinen Bergschuhen zögerlich-umständlich auf die von allerlei Musikinstrumenten verstellte Bühne tritt, glaubt man einen Augenblick, Walser selbst sei aus Herisau eine Stunde nach Zürich herabgekommen, um einem ausgewählten Publikum aus seinem Alltag zu erzählen. Denn eines ist sicher: das kaum 50 Plätze umfassende Etablissement mit dem kuriosirritierenden Namen "sogar-theater", wo nicht nur gespielt, sondern auch gekocht wird, hätte Walser gefallen. Aus was besteht er nun also, so ein erfundener Tag im Leben von Robert Walser?

Vom Essen einmal abgesehen (das "Leibessen" sind Maccaroni, "aber sie müssen ganz mit Käseduft durchtränkt sein") aus einem niemals ab-reißenden Selbstgespräch über Gott und die Welt und aus dem, was er Arbeiten für die Katz nennt. Was heißen will: Schreiben für den Tages-gebrauch, für die Zeitung, die nicht Ewigkeitswerte, sondern bloß pünkt-liche Ablieferung verlangt. Aber "die Katz" ist für Walser sehr viel mehr, ist "der Betrieb selbst", "die Zeit selbst", ja der ganze ziellose Leerlauf menschlicher Tätigkeit überhaupt. Obwohl er sein Selbstgespräch einmal als den "nicht ganz uninteressanten Versuch, mit etwas Nichtssagendem irgend etwas zu sagen", denunziert, bringt es einem dennoch auf versteckthintergründige Weise vieles zu Bewusstsein, was hinter die Oberfläche der Worte auf seine eigene Person deutet: Wenn er arglos von den "lieben Kläpfen", also Schlägen, spricht, die er sich von Frieda Marmet wünscht, wenn die Farbe Grün für ihn statt Optimismus und Vitalität "Einsamkeit und Planeten-Verlorenheit" ausdrückt oder wenn er die Impotenz zur höchsten Stufe des Liebesglücks stilisiert.

Und Krämer setzt Walsers Texte auf unverwechselbar eigenwillige Weise um. Was er nur schon mit seinen stechenden dunklen Augen zu sagen vermag, wie er Details auf zwingende Weise in Körpersprache umsetzt und wie er die scheinbare Chaotik mancher Gedankenfolgen mit deklamatorischen Mitteln vollkommen plausibel macht. Nicht zu reden von der Musikkulisse, die Walsers Texten eine sinnlich-unmittelbare Dimension verleiht. Wobei das Spektrum von einem Klavier, das immer nur ein paar Takte, aber nie ein wirkliches Stück hervorbringt über die verschiedensten, mit dem Geigenbogen zu bearbeitenden Holz- und Eisenstäbe bis zu zwei Sorten von Alphörnern geht, die allerdings kaum je so tönen, wie der Tourist es von den Schweizer Bergen her gewohnt ist.

In seinem absurdkomischen Rollenspiel erinnert einen das Multitalent Andreas Krämer irgendwie an den jungen Emil Steinberger. Aber auf ei-ner ganz anderen, sehr viel ernsthafteren Ebene, wo die Karikatur des Schweizerischen nicht einfach ein Lacherfolg, sondern die Exemplifizie-rung des Grotesken anhand eines ganz bestimmten, authentisch verifi-zierbaren Menschentyps ist.

 

Für die Katz 2

 

Für die Katz 3

 

Für die Katz 4

Andreas Krämer
Schauspieler & Bühnenmusiker
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D - 28199 Bremen


Tel +49.(0)421.522869 2
Tel +49.(0)160.222961 2
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E-Mail: andreas-kraemer@andreas-kraemer.ch

Ein Tag mit dem Kafka der Schweiz

Gastspiel der Robert-Walser-Performance „Für die Katz“ in der „Insel" - Staatstheater Karlsruhe / Mai 05

von Michael Stolle

Herisau ist das Wiesloch der Schweiz. Dort verbrachte Robert Walser, der Kafka der Schweiz, seine letzten gut 25 Lebensjahre: zwischen 1929 und 1956. Dabei war er kein Verrückter, eher ein Verschrobener. Ein Verlorener. Einer, der wusste, dass er sich verlieren musste, um sich zu finden. Nun stelle man sich einmal vor, das stimmte, was ein Kritiker über die Robert Walser-Performance „Für die Katz“ sagte (die nun auch in der Karlsruher „Insel“ gastiert): Es sei so, als ob Robert Walser von Herisau noch einmal heruntergestiegen komme. Müssen wir daraus nicht schlussfolgern, dass Walser sich heute auch hier therapieren könnte? Dass er sich verlieren könnte in den Erinnerungen an damals, als er tatsächlich in Herisau saß, heute auf den Tag genau vor 60 Jahren? Oder sind wir, Gefangene des Gedenkens, nicht längst die Kranken, die hinauf oder hinabsteigen müssten zu den Wieslochs und Herisaus dieser Welt, um mit Walser das frühe 20. Jahrhundert zu verstehen und mit seiner, wie Walter Benjamin schrieb, „bannenden Sprachverwilderung“ unsere Wahrnehmungs- und Deutungsmuster einmal kräftig durcheinander wirbeln zu lassen? – Genug des Erinnerns, Gedenkens und Verflechtens, sagen wir doch einfach, dass es sich lohnt diesen für die Bühne erfundenen Tag im „Leben des Schriftstellers Robert Walser“ anzusehen. Und hören wir auf bei jeder Gelegenheit vom Kriegsende zu sprechen.

Andreas Krämer, der zurzeit auch im Karlsruher „Tell“ zu sehen ist, schlüpft in die Prosa von Walser, die ihm sein Regisseur Boris Pfeiffer zusammengestellt hat und bringt sie zum Schwingen, Klingen, Brummen und Sausen. Das literarisch–musikalische Kabinettstück, vom Züricher „sogar theater“ produziert, ist ein multimediales Vergnügen, wenn Krämer zu unterschiedlichsten Mitteln und Instrumenten greift, um Walser hörbar zu machen. Die Bühne wird beherrscht von einem Klavier, dem die Brust geöffnet scheint und das von einem Korsett aus Eisenstangen gerahmt wird. Hier spielt Krämer den Geigenbogen, reibt schräge Töne aus dem Material und kontrastiert es mit allerlei Klängen, die er aus einem Alphorn hervorzukitzeln weiß. Er belässt es nie bei der bloßen Aufführung, er spielt keine Musik. Er seziert Klänge und Töne. Er mischt diese dann mit der intensiven und verknappten Sprache Walsers, die immer auch Weltsicht verschafft, die immer Bezug schafft zur Umwelt, obwohl sie, wie Walser schreibt und wie der Titel des Arrangements zitiert, doch die „für die Katz“ und damit für den beiläufigen Tagesgebrauch sei. Von wegen, es ist ein wahnwitziges Potpourri, das da erklingt. „Für die Katz“ ist ein Werk, das auch als Hörcollage funktionierte und so auch wirkt, wenn man zwischendurch versuchsweise die Augen schließt. Öffnet man sie wieder, sieht man um so klarer, wie Walsers Prosa funktioniert. Es ist dieses kleinteilig Zusammengebastelte, das unruhige Sezierende, das kontrollierte Sichgehenlassen, das Andreas Krämer so trefflich verkörpert und auf so vielfältige Weise zum Klingen bringt. Zuerst in Herisau, dann Zürich, schließlich landauf, landab und jetzt in Karlsruhe. Die zweite Aufführung ist am 28. Mai um 20 Uhr ebenfalls in der „Insel“ zu sehen.


General-Anzeiger Online Bonn Wortspiele aus dem Bleistiftgebiet Schauspieler Andreas Krämer gastiert mit seiner witzigen Performance "Für die Katz. Ein erfundener Tag im Leben des Schriftstellers Robert Walser" im Beueler Lampenlager Von Elisabeth Einecke-Klövekorn Beuel. Von einer "zumindest scheinbar, völlig absichtslosen und dennoch anziehenden und bannenden Sprachverwilderung. Von einem Sichgehenlassen dazu, das alle Formen von der Grazie bis zur Bitternis aufweist" schrieb Walter Benjamin 1929 über Robert Walser, im selben Jahr also, in dem der Schweizer Dichter sich endgültig aus der "normalen" Welt verabschiedete, um den Rest seines 78 Jahre währenden Lebens - immerhin noch 27 Jahre bis zu seinem merkwürdigen Tod im Schnee Weihnachten 1956 - in psychiatrischen Anstalten zu verbringen. "Seltsamkeitsstil" nannte Robert Walser selbst seine Schreibform. Ihre musikalische Struktur haben viele wissenschaftliche Interpreten hervorgehoben. Genau darauf setzt Andreas Krämers witzige Performance "Für die Katz. Ein erfundener Tag im Leben des Schriftstellers Robert Walser", mit der er jetzt im Lampenlager (auf dem Gelände der Halle Beuel) des Theaters Bonn gastierte. Der Schweizer Schauspieler und Musiker, der unter anderem am Schauspielhaus Hamburg, in Wuppertal, Basel und Zürich engagiert war und zur Zeit in der Halle Beuel als Kardiologe Dirk Gerritsen in Karst Woudstras "Würgeengel" zu sehen ist, hat zusammen mit dem Regisseur Boris Pfeiffer für das freie Zürcher "sogar theater" einen Monolog aus Walser-Texten (nachlesbar im informativen Programmheft) zusammengestellt. Es sind Bruchstücke aus dem "Bleistiftgebiet", diesen 1924/25 in fast wie eine Geheimschrift wirkenden winzigsten Lettern verfassten "Mikrogrammen", Sätzen aus den bekannten Romanen wie "Geschwister Tanner" und "Jakob von Gunten", Notizen aus den Feuilletons, Briefen und Beobachtungen vom Rand der zufälligen Wahrnehmung. Krämer macht daraus nachdenklich komische Wortspiele, horcht in die Metaphern hinein und bringt ihre Absurditäten zum Leuchten und Klingen. "Ich schreibe in stiller Mitternacht, und ich schreibe für die Katz, will sagen für den Tagesgebrauch. Die Katz ist eine Fabrik oder Industrieetablissement, für das die Schriftsteller täglich, ja vielleicht sogar stündlich treulich und emsig arbeiten oder abliefern." Walser war ein bekennender Katzenfreund, und eine schwarze Plüschkatze steht auch auf dem Klavier, das seine Eingeweide preisgibt und an beiden Seiten seltsame Flügel aus Holz- und Metallstäben trägt, die mit einem Kontrabassbogen zu schrägen Tönen gereizt werden. Ein Blaseblag lässt die Klaviersaiten windig erbeben, ein Alphorn wird auseinandergeschraubt und mit verschiedenen Mundstücken bedient, ein verbogener Löffel wird zur Augenklappe und mit einer Gabel zum Rhythmusinstrument. Ein kleines Schaukelpferd steht fürs Kindliche, die Uhr im Hintergrund läuft ohnehin rückwärts. Krämer bewegt sich auf seinen klobigen Bergschuhen mit merkwürdig paradoxer Leichtigkeit durch die skurrile Installation wie einer, der längst aus der Zeit gefallen ist. Grazie und Bitternis im alltäglich Banalen werden bei seiner Wanderung durch Walsers Kopf zu einem einzigen großen dramatischen Aphorismus. "Er nicht als er" hieß Elfriede Jelineks 1998 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführte österreichische Theater-Hommage an Robert Walser. Er durchaus als er, aber als sich selbst fremd gewordenes, zerbrechliches Ich zeigt diese hinreißend spielerische schweizerische Annäherung. Das unbedingt empfehlenswerte literarisch-musikalische Kabinettstück steht am 19. November um 20 Uhr noch einmal im Lampenlager auf dem Gelände der Halle Beuel auf dem Programm. Und hier noch ein weiteres PDF.

 


Über die Auswirkungen der Theaterarbeit von Boris Pfeiffer
am sogar Theater Zürich:

"Überweisung des Stadtrates an den Gemeinderat der Stadt Zürich" (als PDF)


Das Stück ist zu beziehen bei: Boris Pfeiffer


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  One Night Stand  
 

One Night Stand

 
  Art muss allein in den 1. Mai tanzen. Und er tanzt wild und kifft und trinkt und weiß am nächsten Morgen nicht mehr, wie es passieren konnte...  
  Broschiert: 256 Seiten
Verlag: Ravensburger Buchverlag;
Auflage: 1
(Februar 2008)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3473583405
ISBN-13:
978-3473583409
Altersempfehlung: ab
13 Jahre
 
 

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